Weg zum Hermes
Serie mehrerer Gobelins
300x120cm / 120x70cm / 120x70cm
2020
Weg zum Hermes // Ein Plädoyer für den gesenkten Blick
Beim Laufen auf natürlichem Terrain lohnt es sich immer, zumindest mit einem Auge, auf den Boden zu achten. Wurzeln, Hügel, Kuhlen und Pfützen sorgen für stete Abwechslung und Stolpergefahr. Selbst auf einer gleichmäßig bewachsenen Wiese kann man nie sicher sein, was der nächste Schritt bringt. Aber wie bewegt sich der Mensch in kultivierter Umgebung der asphaltierten, gepflasterten und gekiesten Wege? Höhenunterschiede, markiert durch Bordsteine, dienen hier der Unterscheidung zwischen Straße und Fußgängerweg. Gehkomfort ohne Überraschungen: eine Voraussetzung. So ist dem Moment, da dieser Gehkomfort gebrochen wird, durch Risse im Asphalt, fehlende Steine im Pflaster oder gar offene Gullis, Empörung gewiss oder zumindest der Verdacht sich in einer verwahrlosten Umgebung zu befinden. Doch auch auf scheinbar intakten Straßen und Gehwegen fällt der aufmerksamen Betrachterin auf: Die Mannigfaltigkeit der Straßenbeläge einer Stadt gleicht der sich wandelnden Flora eines ausgedehnten Spazierganges durch Wiesen und Wälder. Ohne ersichtlichen Grund wechseln die Steine Farbe, Form und Muster und lassen Spekulationen über Alter und Nutzung der Straßenabschnitte zu. Gleichzeitig scheint diese Vielfalt ein selten betontes Phänomen zu sein. Erst nach erfolgter Sensibilisierung richtet sich der Blick gezielt zu Boden und staunt über die Vielfältigkeit dieser pragmatischsten Konstante des täglichen Bewegens durch die Stadt.
Die textile Arbeit „Weg zum Hermes“ ist das Wiedererleben und Wiedergeben eines alltäglichen Weges vom eigenen Zuhause hin zum Atelier, dem Arbeitsplatz der Künstlerin. In regelmäßigen Abständen habe ich den Boden zu meinen Füßen fotografiert. Die enstandenen 256 Fotografien dienen als Grundlage des Teppichs, auf dem ein Foto nach dem Anderen weberisch umgesetzt wird. Es entsteht eine Wegbeschreibung der wecheselnden Pflasterungen. Neben dem Beobachten des Patchworkcharakters der Hallenser Straßen und Fußgängerwege spielt auch der Charakter von Wegen als solche eine Rolle. Der Prozess des Webens, der nicht anders als Schritt für Schritt, Bewegung für Bewegung ausgeführt werden kann, ist auch immer als eine Bewegung hin zum fertigen Textil, also auf ein antizipiertes Ziel zu, zu denken. Gleichzeitig entsteht dabei ein Teppich der auf den ersten Blick die Begebenheiten eines Territoriums eigenwillig darstellt, halb Karte, halb Legende. Ergänzt wird der Teppich durch kleinere gewebte Arbeiten, die einzelne Wegabschnitte in Lebensgröße weberisch umsetzen und gleichzeitig als Nahaufnahmen oder Zoom-Ins der großen Arbeit gedacht werden können.
Weblinks