Von Legenden und Projektionen
Slanar Atlas 1928
Freytag-Berndt Atlas 1952
De kleine bosatlas 1969
2014/15
3 Collagen, je 80×60 cm
3 cut-out Papierobjekte in Vitrinen 60x60x40 cm und 75x75x40 cm
zur Arbeit:
Katalogtext “Sophie Dvořák – Kartographische Arbeiten”
Von Karten und Unabgebildetem
Karten können als textlich-visuelle Ordnungssysteme verstanden werden, die einem flüchtigen Zustand eine Aura der Permanenz zuzuschreiben versuchen. Man könnte ihnen nachsagen, die eigentliche Flüchtigkeit ihres semantischen Ursprungs vertuschen zu wollen; vielleicht versuchen sie, das Flüchtige ihrer Flüchtigkeit als Permanenz anzubieten – Karten als Hegemonialwerkzeuge zur Erreichung einfacher Zwecke: Zur Stärkung der Agenden der sie Produzierenden. Sie stellen eine Verbindung von Macht und Kunst dar, werden jedoch häufig als Wissenssysteme rezipiert, die der Bildung bzw. dem Erkenntnisgewinn dienen. So wichtig wie das Abgebildete, ist in ihnen aber offensichtlich auch jegliche Auslassung: Dvořák ist vor allem daran, am Raum zwischen Ursprung und Abbild, interessiert; an dem, was Wissenssysteme womöglich verdecken könnten. Sie reflektiert die Komplexität der Metaebenen solcher Systeme, deren Aufladung den zunehmenden Ansprüchen der Wissensgesellschaften gerecht zu werden versuchen. Unterschiedliche ihrer Arbeiten heben daher Metaebenen des Ursprungmaterials hervor, wodurch visuelle Systeme entstehen, die einen abstrakt narrativen Charakter haben und auf fiktiv-dadaistische Welten und Zusammenhänge verweisen. Was verkürzt oder abstrahiert wird, erhält bei Dvořák Fokus und Aufmerksamkeit, die im ursprünglichen Abbildungsmedium nicht enthalten sind. So erweitert und ordnet sie das Ausgangsmaterial zu einem offenen semantischen Netz, ohne die darin vorkommenden Elemente zu bewerten. Sie scheint über die Jahre ein System des gleichberechtigten Umgangs mit visuellen und semantischen Chiffren auf eine Spitze getrieben zu haben, das durch seine vielschichtige Vermengung eine poetische Rezeption begünstigt; diese könnte durch eine rein wissenschaftliche Verarbeitung verdeckt bleiben bzw. auch an Präsenz gewinnen kann.
Dvořáks aktuelle Arbeiten erfahren eine zusätzliche skulptural-installative Ausweitung, wie zum Beispiel die Werkgruppe “Von Legenden und Projektionen”, in der die Künstlerin Schulatlanten verschiedener Jahrzehnte systematisch zerlegt. An der Wand installierte Collagen zeigen Karten-Metainformation – sie stellen ein strukturiert angelegtes Verzeichnis ohne Referenz dar – und verweisen auf das dazugehörige, im Raum installierte Kartenmaterial.
Die Karten werden von ihrer Beschreibung getrennt, und reappropriieren die dritte Dimension – diejenige, die sie ursprünglich abzubilden suchten. Die räumliche Trennung von Karte und Metainformation wiederholt somit einerseits die topologische Teilung, wie sie prozessual bereits im Scherenschnitt stattfindet, zudem verweist sie auf die Zwischenräume, die Leerstellen, die in Karten durch die Abstraktion in Flächen, Striche und Farben notwendigerweise entstehen.
Einmal von der Künstlerin vollzogen, scheint der installative Umgang mit dem Werk so effektiv wie natürlich. Auf sanfte Weise findet im zurückgewonnenen physischen Raum zwischen Karte und ihrer Beschreibung das statt, was durch die ursprüngliche, hegemoniale Abstraktion verlorenging: eine Sicht auf das Imaginäre, wie es vielleicht nur Rezipierende in den Ausstellungsraum zu bringen vermögen, wenn sie als unwissender Teil einer Arbeit den Platz im Raum einnehmen, der durch die ursprüngliche Kreierung der Karte abhanden kam.
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