Die Autorin Ulrike Blatter wurde in Köln geboren und lebt seit 2001 im Hegau. 2021 zogen ihre Eltern vom Rheinland an den Bodensee. Familiäre Altlasten wurden mitgeschwemmt – quasi rheinaufwärts Richtung Quellgebiet. Nun, da die Autorin und ihre Eltern wieder nahe beieinander wohnen, beginnen Erinnerungen zu fließen. Gemeinsame Spaziergänge am See spielen dabei eine Rolle.
Am Rheinbrech fließt der Alpenrhein in den Bodensee, um als Seerhein bei Konstanz wieder sichtbar zu werden. Aus Bergen und Gletschern schleppt er jede Menge Dreck mit und nur zögerlich mischt sich sein milchiges Alpenwasser mit den klaren Fluten des Sees. Ließe man dem Fluss seinen Lauf, hätten wir bei Bregenz ein Delta aus uralten Sedimenten. Vielleicht wäre dann die Unterstadt auf Pfählen errichtet, wie die Steinzeitbauten in Unteruhldingen. Unter der Oberfläche strömt er auch nicht etwa ordentlich in einem Bett, sondern dreht und wendet sich, ja manchmal scheint er sogar rückwärts zu fließen, als wolle er wieder zurück an seine Quellen.
Man spricht vom Sprach-Fluß, aber wie findet man Worte, wenn zeitlebens nur die ruhige Oberfläche gezeigt werden durfte, während im Untergrund der Mahlstrom traumatischer Erinnerungen seinen Weg suchte? Wie klärt man das trübe Wasser von Widersprüchen und Mythen, wenn Lügen überlebenswichtig waren? Welche Rolle spielt das Vergessen? Demenz und Verdrängung gehen manchmal nahtlos ineinander über. Wie eine Eisschicht überlagerten gesellschaftliche Konventionen jahrzehntelang die Abgründe. Das Eis spiegelte lediglich den vermeintlich harmlosen Alltag – während im kalten Panzer Beziehungen einfroren. Durch die Demenz werden aber auch solche Oberflächen gebrochen. Nun erscheint das Spiegelbild verzerrt – nicht mehr das gewohnte, gewöhnliche, wohnliche Leben zeigt sich. Erschrocken blicken wir in Untiefen.
Ulrike Blatter wagt sich an die literarische Transformation und möchte bei Lesung und Werkstattgespräch mit Menschen verschiedener Generationen ins Gespräch kommen.
Gelesen wird aus dem Roman „Der Hütejunge“ (Kriegskindheit des Vaters) und aus bislang unveröffentlichten Texte rund um die traumatische Kindheit der Mutter – gespiegelt und neu aufgearbeitet in Kindheitserinnerungen der Tochter.
Diese bislang unveröffentlichten Texte stammen aus dem aktuellen Romanprojekt, an dem Ulrike Blatter momentan arbeitet.
Alle Textstellen behandeln auf unterschiedliche Weise das Thema „Wasser“ bzw. „Rettung vor dem Ertrinken“ – sowohl aus der Perspektive der Eltern wie auch aus Autorinnenperspektive. Abweichend vom Konzept der üblichen Lesungen, die eher historisch ausgerichtet sind, orientieren sich diese Textpassagen an der Traum- und Fantasiewelt eines Kindes und zeigen, welche (Über)Lebenskräfte an diesen seelischen Rückzugsorten aktiviert werden.
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