Der Werkzyklus „Ringen um Raum“ (2020-heute) kreist um die Frage von Selbstermächtigung politischer Protestbewegungen exemplarisch im öffentlichen Raum des Leipziger Ostens und wie sie sich anhand von Plakaten, Graffti und anderen Protestformen linker Akteur*innen, wie den Antifa Gruppierungen, dort zeigt. Der öffentliche Raum, insbesondere in der Nähe der Eisenbahnstraße, spiegelt das besondere Verhältnis von Individuum und Gesellschaft im Viertel wider, das von Macht- und sozialen Ungleichheiten und Verdrängung geprägt ist. Doch aller Gentrifierungsprozesse zum Trotz behauptet sich eine subkulturelle Szene und vereinnahmt den öffentlichen Raum für ihre politischen Botschaften (Antifaschismus, soziale Gerechtigkeit, Antirassismus, Feminismus, inklusive Erinnerungskultur u.v.m.), um so einen (Frei-)Raum politischer Aushandlungsprozesse herzustellen. Zeitgleich werben Plakate für (Soli-)parties, Konzerte und Ausstellungen etc. Zusammen formen sie ein ästhetisches Bild vom Aktivismus, der sich für die Utopie einer gerechten Gesellschaft stark macht, aber auch ein Ringen um Deutungshoheiten und Meinungen verkörpert. Nielsen nutzt das Repertoire verschiedenster Appropriationstechniken: Übermalung und -zeichnung, De-Collage, Collage, Abfotografieren) und zitiert aus dem kollektiven (eurozentristischen) Kunstgedächtnis; reflektiert Fragestellungen der Fotografie, Vanitas und dokumentiert.
Die beiden Fotografien sind bei einer Straßenaktion entstanden, die durch die Antifagruppen im Leipziger Osten organisierte wurde. Es war die Antwort auf die Räumung eines besetzten Gebäudes durch die Polizei, das die Linken als Soziales Zentrum autonom verwalten wollten, die friedlich verlaufen war. Viele Anwohner*innen solidarisierten sich mit dem Vorhaben, um vor allem gegen die fortschreitende Gentrifizierung und für eine gleichberechtigte Teilhabe im Viertel ein Zeichen zu setzen. Eine Folgeaktion zwei Tage später, bei der die Protestierenden zum an sich friedlichen Cornern aufgerufen hatten, entwickelte sich zu einer Straßenblockade mit brennenden Barrikaden. Beide Aktionen habe ich fotografisch begleitet. Im Fall der Straßenblockade habe ich inspiriert von Rafal Milachs Arbeitsweise nach einem stilistischen Mittel gesucht, durch das sich eine Reproduktion von medialen – oft der Stigmatisierung dienenden – Bildern vermeiden ließe. Mit der Unschärfe setzte ich auf ein Mittel, das das Geschehen wie eine Rückblende erscheinen lässt, bei der die angesichts zunehmender polizeilicher Repressionen steigende Gewaltbereitschaft der Szene zwar bezeugt wird. Allerdings wie ein Spiel mit der Zeit fungiert. Denn es könnte eine Szenerie aus einer gegenwärtig als Utopie erscheinenden Zukunft sein, in der die Gewalt in Gesellschaften überwunden wurde und nun nur noch als ein verschwommenes Albtraumbild im Rückblick erscheint.
Die Arbeit „David the Big“ verschränkt Hochkultur mit Subkultur und Zivilgesellschaft, die sich für ein Erinnern an die Opfer von Hanau mittels einer Kampagne mit stilisierten Porträts einsetzte, die im öffentlichen Raum plakatiert, anschließend oft der Witterung und Überschreibung ausgesetzt waren. Anders als die Davidstatue von Michelangelo, die laut FAZ zu den Unsterblichen unserer (europäischen) Kultur zählt. In der Wandinstallation wird eine Reproduktion der Davidstatue, kaschiert auf eine Acryl-Platte, mit einem Raster dokumentarischer Fineart-Prints der Aktion überlagert.
Statt einer Erinnerungskultur, die Erinnerung als etwas abgeschlossenes betrachtet, geht es um eine offene, inklusive Erinnerungskultur, die eine gleichberechtigte Teilhabe von Marginalisierten an Geschichte ermöglicht. Hinter diesen Forderungen steht nach Theodor Adorno die Utopie einer Gesellschaft ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Rassismus und Antisemitismus; einen Zustand, in dem alle Menschen ohne Angst verschieden sein können.
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