Dagmar Gester, „Timewalk“, Fine Art Print hinter Glas, 50 cm x 75 cm, 2018
Dagmar Gester, „20.01.2017“, Fine Art Print hinter Glas, 75 cm x 50 cm, 2018
Dagmar Gester, „03.12.2017“, Fine Art Print hinter Glas, 75 cm x 50 cm, 2018
13. Dezember 1948
"»Es ist der nebligste Winter seit achtzig Jahren«, behaupten Wetterkenner.
Die Luftbrücke tut ihr möglichstes. Aber das Unmögliche kann auch sie nicht ermöglichen.“
Ruth Andreas-Friedrich
Ein bauchiges Flugzeug im tiefen Landeanflug zieht nur knapp an den Köpfen einer wartenden Menschenmenge auf einem Schutthaufen vorbei. So hielt Henry Ries 1948 das Ereignis der Berliner Luftbrücke fest. Das Rosinenbomber-Foto von Henry Ries hat sich tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Eher unbemerkt bleibt das Berliner Mietshaus im Hintergrund: mein Zuhause.
Lange war der Flughafen Tempelhof ein Symbol für den Kampf der politischen Systeme in der Nachkriegsordnung, heute steht er für die Sehnsucht nach Natur und Freiräumen in der zunehmenden Enge der Berliner Stadtlandschaft.
70 Jahre nach Beginn der Blockade West-Berlins ist von der ursprünglichen Funktion des Areals kaum noch etwas zu spüren. Lange Zeit unterlag es einer rein zweckgebundenen Nutzung (als Flughafen, Friedhof …). Relikte dieser früheren Nutzung sind noch erhalten, umzäunt und musealisiert sind sie Zeugnis der Geschichte (Landebahn, Landungsfeuer, Fundamente des Zwangsarbeitslagers der Evangelischen Kirche …). Heute überwiegt die freie Nutzung (Park, Freizeitfläche, Ort für diverse Projekte, darunter eine Apfelbaumpflanzaktion für Flüchtlinge oder das Kunstfestival 48 Stunden Neukölln). Alte und neue Nutzung des Geländes überlagern sich partikelweise.
Ich habe das Areal ein Jahr lang erkundet und mich auf Spurensuche begeben nach den Momenten, wo sich diese unterschiedlichen Dimensionen begegnen. In einer Art visuellem Tagebuch halte ich „Partikel“ von gegenwärtiger und vergangener Nutzung fest, verdichte das Vorgefundene, so dass es die Vielschichtigkeit des Ortes einfängt.
Der Titel meiner Arbeit ist vielschichtig. „Partikel“ bezieht sich auf den Nebel auf dem Tempelhofer Flughafen, der das Starten und Landen der „Rosinenbomber“ verzögerte. Partikel in der Luft erschwerten die Sicht. Er ist aber auch eine Referenz auf die Bilder meiner Spurensuche, die immer nur einen Teil der komplexen Situation, einen Teil des Ganzen zeigen.
Zugleich umreißt der Titel auch die Erwartung an die Fotografie, die Wirklichkeit abzubilden, während sie doch nur Hinweise gibt. Meine Arbeit befragt unsere Wahrnehmung der visuellen Wirklichkeit: Fotografien entwerfen unser Bild von der sichtbaren Erfahrungswelt.
Sie prägen deren Anschauung ebenso wie unser Verhältnis zu ihr und damit unser Verhältnis zu uns selbst. Tief graben sie sich in unser Gedächtnis ein, bis wir fest daran glauben, die Ereignisse seien tatsächlich „so gewesen“, wie die Bilder sie uns zeigen. Unser Gedächtnis ist von Bildern fotografischen Ursprungs infiziert, eine Differenzierung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Erinnerung oder Erfahrung ist kaum noch möglich.
So ist unsere Erinnerung an das zerstörte Nachkriegs-Berlin ist schwarz-weiß. Die Gegenwart stellen wir uns farbig vor. Mit dieser Erwartung breche ich bewusst: Meine Bilder sollen den Abstand zur Gegenwart halten, deshalb sind sie schwarz-weiß.
Die Serie umfasst 36 Fotografien und wurde erstmals für eine Ausstellung im Museum Neukölln erarbeitet.
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