


(…) Ausgehend von allen Werbefilmen der 41 Parteien, die im Mai 2019 in Deutschland zur Europawahl antreten, kreiert er ein Sammelsurium politischer Vielfalt. Der knapp fünf Minuten lange Kurzfilm zeigt einen Zusammenschnitt, die Collage wird von musikalischer Untermalung dramatisiert. Europa von Falco tönt in melodischen Männerstimmen mit der Bilderflut hinfort. Die an bayerische Blasmusik angelehnte Vertonung, welche Jonas Höschl von Philipp Lohmeier, Max Blechschmidt und Simon Kränkl umsetzen lies, befreit das Lied vom Text und rezipiert lediglich die Hauptfigur der Wahlkabinenfrage: der Refrain „Europa“ folgt einem heiter fröhlichem „Nana-na“.
Das Werk erscheint dem Publikum als Apparat diverser Perspektiven und das reizt. Bilder von anfangs lachenden Menschen werden von aggressiven Aufnahmen von Polizeigewalt unterbrochen, die pointiert die Mitte des Filmes bilden. Es wird sofort deutlich, wie schematisch die Methoden der Werbeagenturen sind und Zuschauende wissen dank digitaler Intuition („Medienkompetenz“) bei dem Großteil der Filmausschnitte, welcher Partei sie zuzuordnen sind – oder etwa nicht? Hier greift die Kraft des Werkes. Die emotionalisierende Bilderfluten, die meist langsam, verzögert oder nostalgisch daherkommen, zeigen primär Aufnahmen von sinnlichen Gesichtern, glücklichen Industriearbeiten und friedlich Küssenden. Sekundär sind manipulative Schockbilder eingebaut, wir vermuten rechte Hand. Dadurch, dass Höschl jedes zuvor bewusst erschaffene Politbild zumindest einmal visuell erwähnt, ist das Werk lückenlos und täuscht eine Objektivität vor. Doch diese vermeintliche Objektivität bricht bei präzisem Hinschauen. Die Bildsprache, Motivwahl und Komposition ist bei allen Parteien verblüffend einheitlich, aber dabei wissen wir doch, dass der Inhalt stark verschieden und perspektivisch verzerrt ist. Insbesondere das Ende ist intensiv: Jedes Logo der Partei erscheint einen Bruchteil von Sekunden und verabschiedet die kurze aber schwärmerische Wahlfahrt. Erschütternd stellen wir fest, dass ein Werbefilm der DKP der gleichen Sequenz-Ordnung folgt wie der einer rechtspopulistischen Afd.
(…) Er klappt die Anleitung Werbefilm auf und erlaubt uns einen kritischen Blick. Ursprünglich wurden die Werbespots in Auftrag gegeben um politische Botschaften/Standpunkte an eine bestimmte Zielgruppe zu richten. Sie sollten illustrieren, motivieren, radikalisieren. Jetzt werden sie zu einem Tableau der Mischpoche, das vor allem unsere gespaltene Sehgewohnheit dokumentiert. Zu oft blenden wir die Bildnarrative Andersgesinnter aus – es fällt leicht in der digitalen selbstgewählten Blase. Dabei sollten wir unseren Blick auf Künstler wie Jonas Höschl werfen, der die fern voneinander liegenden Bildwelten zusammenbringt und uns an ihren Ursprung erinnert. Wir wollen wie schon Falco „die Dame Europa hier her“. Sie ist mehr als Politik, sie ist eben auch bewegtes und geteiltes Bild. Dort vervielfältigt und abstrahiert sie sich.
In postmoderner Manier zeigt uns Jonas Höschl, was wir ohnehin schon wissen: „In Vielfalt geeint“ ist kein Oxymoron, es ist ein Pleonasmus. Die Geschwisterlichkeit verstärkt sich durch ihre gemeinsame Existenz, denn Individualität wäre ohne gemeinsame Konformität nicht existent. „Manfred Weber“ als Persona hat die Wahl zum Kommissionspräsidenten verloren, mit Höschls Werk haben wir ein Stück europäische Artikulation dazugewonnen.
(…) Der ratlose Millennial in Sachsen-Anhalt setzt sein Kreuz, er weiß nicht für welche Sphäre er es tut, er weiß aber für welchen Raum: es ist Europa. Als Empfehlung für die Zukunft geben wir ihm Höschls Collage mit. Sie ist ein Mitbringsel der Millenniumserklärung – sie ist konkret, relevant und schärft den Blick.
Maja Klimt
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