


Vor einigen Jahren besuchte ich ein Symposium in einem kleinen Dorf in Süddeutschland: Angeblich sollte ein von dort stammender Auswanderer schon zwei Jahre vor den berühmten Wright Brothers ein motorisiertes Flugzeug konstruiert und geflogen haben. Problematisch für die Anerkennung der Pionierleistung waren nicht nur das verschollene Beweisfoto, sondern vor allem die betrügerischen Fotomontagen, die man in seinem Archiv gefunden hatte. Für diese Fotografien hatte der Erfinder seinen Flugapparat mit Seilen zwischen zwei Bäumen festgebunden, und diese Seile auf den Abzügen retuschiert… Die Geschichte dieses Hochstaplers und die Diskussion um gefälschte und verschollene Beweisfotografien waren ein Initialmoment für meine fotografische Praxis. Schon lange hatte ich eine Vorliebe für die Arbeit in der Dunkelkammer und die Aura eines gut ausgearbeiteten Prints, wollte mich aber mit der oft postulierten „Authentizität analoger Fotografie“ und dem Wahrheitsgehalt, der sich angeblich hinter dem Korn verbergen soll nicht zufrieden geben. Für mich besteht der Reiz der analogen Fotografie gerade in ihrer Manipulierbarkeit und der Spannung, die ein Handabzug erzeugen kann, wenn er die Grenzen der Wahrnehmung strapaziert. Ganz im Sinne der ersten Röntgenaufnahmen versuche ich seitdem mit meiner Fotografie die physisch wahrnehmbare Oberfläche zu durchdringen. Im Ausstellungsraum kombiniere ich dieses Bildmaterial mit Texten und lade die Betrachter*innen dazu ein, die von mir erzeugten Narrative nicht nur nachzuverfolgen, sondern gründlich zu hinterfragen. Während des Projektstipendiums im Schwarzweiss Fotolabor möchte ich die Werkstatt nicht nur als bloße Produktionsstätte nutzen. Grundzug meiner Arbeitsweise ist die assoziative Kombination von Bild und Textmaterial, wobei sich der entschleunigte analoge Prozess bestens eignet, um neue Narrative auszuloten und gewohnte Denkmuster aufzubrechen. In meiner Fotoserie I’ll be your substitute, an der ich seit einigen Jahren arbeite, nehme ich die Erzählung des betrügerischen Flugpioniers als Ausgangspunkt. Für das Projektstipendium möchte ich mit diesem Bilderpool arbeiten und das von mir fotografierte Material durch Experimente mit analogen Retuschetechniken ergänzen. Eine Grundstimmung von Betrug und Vertuschung, wie sie seit einigen Jahren z.B. durch den Dieselskandal oder die Wirecard-Affäre erzeugt wird, soll dabei im Subtext mitschwingen. Mein Ziel ist es nicht, innerhalb der 6 Wochen im Labor eine Masse an Handabzügen zu produzieren, sondern die Zeit zu nutzen, um gezielt auszuwählen und präzise Entscheidungen bzgl. Format, Oberfläche und narrativer Kombination zu treffen. Im Hinblick auf die Ausstellung im NAILS Projectroom habe ich außerdem eine konkrete Kollaboration im Sinn. Seit meinem Abschluss betreibe ich zusammen mit einem befreundeten Künstler eine Rahmenwerkstatt. Spezialisiert haben wir uns auf die konservatorische Einrahmung analoger Handabzüge. Selbstverständlich wird mir die Infrastruktur meiner eigenen Werkstatt dazu dienen, optimale Displays für die entstanden Abzüge herzustellen. Denkt man an verschollene oder dem Zahn der Zeit erlegene Dokumente (wie etwa das Beweisfoto des Flugpioniers), so bekommt dieser konservierende Akt noch eine tiefere Ebene. Gemeinsam mit meinem Kollegen plane ich einen performativen Workshop, in dem wir den Interessierten im Umfeld des Fotolabors die Techniken konservatorischer Einrahmung und unsere Begeisterung für dieses Handwerk näher bringen. Philip Kanwischer: Motivation / Projektidee 1
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