„Fotografie bedeutet für mich, Realität wie eine Farbe mit dem Pinsel aufzunehmen“
Mit ihren vielschichtigen Panoramen entführt Victoria Pidust in einen visuellen Irrgarten, in dem die Wahrnehmung der Betrachter aufgewirbelt wird – eine Provokation der tradierten Rezeption von Werken, die mit fotografischen Techniken entstanden sind. Pidust konglomeriert Fotografie und Malerei, in dem sie das Genre der Fotografie aus seinem die Wirklichkeit abbildenden in ein intrinsisch schöpfendes Medium zur Darstellung der Modulation von Wirklichkeit überführt. Im Vorfeld arbeitet sie mit den für die Fotografie charakteristischen Materialien: Licht, generative Prozesse und Apparate, die nicht notwendigerweise Kameras sein müssen, zudem bildgebende Verfahren aus fachfremden Disziplinen. Pidust vereint in ihren Bildern reale, abstrakte und konkrete Darstellungsformen. Die Komponenten ihrer Montagen entstehen nur teilweise durch Fotokameras. Für ihre künstlerische Praxis nutzt sie diverse verfügbare Bildgebungsverfahren und kombiniert diese miteinander: analoge und digitale Fotos sowie 3D-Renderings aus Computerprogrammen zur Erzeugung von Architekturmodellen.
Pidusts Bilder bestehen aus analogen Elementen – den Fundus fotografiert Pidust selbst – sowie aus digitalen Komponenten, bei denen die Künstlerin 3D-Programme einsetzt beziehungsweise für sich arbeiten lässt. Beispielsweise arbeitet Pidust kreativ mit einer Software zum Scannen von Architektur und zur Erstellung von digitalen Modellen für Räume, in dem sie die programmimmanenten Algorithmen stört, die für das sogenannte Pattern-Recognizing zuständig sind. So ensteht Neues, Unerwartetes, der Schaffensprozess verselbständigt sich. Der Computer wird zur kreativen Instanz, Pidust manipuliert wirklichkeitsgetreue Darstellungen mit künstlicher Intelligenz. Der Zufall wird dabei zum zentralen Element.
Mit ihren Hybriden, wie Pidust ihre Arbeiten nennt, schreibt die Künstlerin das Kapitel der Generativen Fotografie mit aktuellen Mitteln fort. In ihren barock anmutenden Werken bringt sie mehrere vermeintlich unvereinbare Verfahren zusammen: die Bilder sind gleichzeitig analog und digital, vereinen subjektive und generative Fotografie. Sie entstehen durch menschliches Bewusstsein und künstliche Intelligenz und beschreiben beide Wege von 2D nach 3D wie von 3D nach 2D. Hinter ihrem ästhetischen Konzept steht die Idee, unsere Welt mit anderer Wahrnehmung zu spiegeln, bei den Betrachtern eine Realitätsverschiebung zu erzeugen. Nicht selten endet das Betrachten der opulenten Panoramen in eine Untersuchung der Frage, was auf einem mit fotografischen Techniken hergestellten Bildern „echt“ ist. Pidusts Werke stellen nicht nur eine Realtitätsverschiebung auf der visuellen Ebene dar, sondern provozieren ein Nachdenken über tradierte Wahrnehmungsschablonen, bis in philosophische Dimensionen hinein.
Carla Susanne Erdmann
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