


»Die multimediale Installation “Europe is lost” (2018) setzt sich aus drei im Ausstellungsraum verteilten und prinzipiell unabhängig voneinander bestehenden Werkelementen zusammen:
eine großformatige Schwarzweißfotografie, aufgezogen auf einer hölzernen Stellwand; eine Sound- und Videoarbeit auf deren Rückseite; eine im Raum verteilte Serie schwarz gerahmter Holzschnitte.
In engen Bildausschnitten zeigt letztere zehn Porträts von Menschen, die der Künstler als Teil des Soli-Konvois “ain’t no border high enough” unter anderem im nordgriechischen Refugee-Camp Idomeni, auf Lesbos und in Ungarn kennenlernte. Die Gesichtszüge der Porträtierten, die ausschließlich junge Männer* zu zeigen scheinen, sind stark abstrahiert: Charakteristisch für das Hochdruckverfahren des Holzschnitts setzen sie sich aus schwarzen und weißen Farbflächen zusammen. Einige der Abgebildete sind mit T-Shirt oder Schal vermummt. Alleine ihre Augen liegen frei, sie blicken die Betrachter*innen eindringlich an. Im Format 50 x 70 cm erinnern die Drucke zwar entfernt an die popkulturelle Gestaltung offizieller US-Wahlplakate wie Shepard Faireys berühmtes „HOPE“ für den Wahlkampf Barak Obamas 2008. In ihrer Pluralität knüpfen sie jedoch vielmehr an eine bild- und medienhistorische Ikonographie erkennungsdienstlicher Fotografie an. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierte sich diese kriminalistische Gebrauchsweise des neuen Mediums, deren charakteristische und vermeintlich neutrale Darstellung frontaler Gesichter unsere Wahrnehmung und Vorstellung von Kriminalität und Kriminellen bis heute prägt. Obwohl die Holzdruckserie in “Europe is lost” weniger von den abgebildeten Individuen als von der indexikalischen Unzulänglichkeit ihrer medialen Oberfläche erzählt, wecken die Porträts in ihrer Aneinanderreihung Assoziationen an historische Technologien der Identifizierbarkeit und Praktiken der Gesichtserkennung wie polizeiliche Fahndungsplakate.
In eine kanonisierte Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben sich diese vornehmlich über die berühmten, millionenfach in Umlauf gebrachten Plakate des Bundeskriminalamts mit den Gesichtern der „anarchistischen Gewalttäter“ der Roten-Armee-Fraktion eingeschrieben. Als mediale Ikonen des Linksterrorismus wurden sie zum „Schauplatz triumphalischer Gesten“ des deutschen Rechtsstaats, denn die gesuchten RAF-Mitglieder sollten nach erfolgreicher Verhaftung stets mit dicken Strichen durchgekreuzt werden.
Auf die Ästhetik solch bürokratischer Öffentlichkeitsarbeit referiert auch der unter jedem der Porträts in Versalien prangende Schriftzug EUROPE IS LOST: Die Schriftart dient als Referenz auf eine staatliche Repräsentationstypografie, denn deutsche Behörden nutzen heute fast ausschließlich Arial Black an den Gebäudefassaden ihrer Institutionen. Dem vordergründigen Zweck von Fahndungsplakaten, nämlich eine möglichst fehlerfreie Identifizierbarkeit gesuchter Personen, kommen die abstrakten Porträts in “Europe is lost” nicht nach. Höschl betont so die anhaltende Kriminalisierung geflüchteter Menschen. Auf diese Weise macht er zudem deutlich, dass mediale Technologien, Gestaltungsweisen und Ästhetiken maßgeblich deren öffentliche Wahrnehmungen bestimmen. Er stellt damit auch bestimme Rhetoriken der journalistischen Berichterstattung zur Disposition, denn vielfach bedienen sich nicht nur populistische Medien determinierter Bildstrategien. Mit ihnen affirmieren und legitimieren sie oftmals unbewusst fremdenfeindliche und rassistische Diskurse.«
Mira Anneli Naß in ihrem Text »Fotografie und Engagement« (im Buch »Politik von Medienbildern«, Hatje Cantz)
Weblinks