Das Mixed-Reality Kunstbuch „Drei Schwestern: Frauenherberge. Geisterbilder” (Juli 2021) ist Teil der ongoing Langzeit-Recherche des mehrteiligen Projekts „Schwester” von Theater Performance Kunst RAMPIG – eine kritische Auseinandersetzung mit patriarchalen Machtstrukturen, die Bilder des Weiblichen dominieren.
„Im unbeständig zitternden Schein der Glühbirne fällt das Licht für Sekunden auf verstörende Szenen. Unheimliche Gesichter alter und junger Weiber scheinen im Spiegel zu schreien. Eine Frau mit schleimige Haar treibt in deiner Badewanne. Sie sucht dich heim: Eine Sammlung delikater und erlesener Schauergeschichten bester Qualität! Sei dir sicher, dass es hier nichts gibt, was es nicht geben würde: Menschen scheinen von den Toten aufzuerstehen, die Zeit verschiebt sich, möchte sich wiederholen.”
Das Kunstbuch ist das Angebot unsere Inszenierung individuell, zu Hause zu erleben – selbst die Dramaturgie der Inhalte zu kuratieren. Es ist die Weiterführung eines interaktiven Formats einer inszenierten, interaktiven Speisegastätte mit Lieferservice von Kunsthäppchen. Es fasst unsere site-spezifische, künstlerische Bearbeitung des Themas zusammen. Ein verlassener Bauernhof in einem Mannheimer Vorort diente als Bildkulisse für die biografische und kulturell internationale Recherche echter Frauenbiografien und Interviews mit Expertinnen. Das Drama „Drei Schwestern” von Anton Tschechow diente als klassische literarische Vorlage, an der wir uns kritisch abgearbeitet und die wir überschrieben haben. Die inszenatorischen Elemente werden in eine Mixed-Reality Publikation für zu Hause geformt. Das Kunstbuch funktioniert in diesem Sinne als hybride Inszenierung: es leitet durch Text und Essay – gesprochen und geschrieben -, durch Video, Musik und Fotoarbeiten, die die zu Grunde liegende Recherche transferieren. Für die virtuelle Erweiterung arbeiteten wir mit Artivive, einer App, die virtuelle Realitäten schafft. Damit werden Seiten des Kunstbuchs gescannt. Das bewirkt die Eröffnung von Sound, Text, Videos mit Performances auf dem Bildschirm. So entsteht eine komplexe analog-virtuelle Immersion einerseits, zum anderen laden wir die Benutzer*innen zur aktiven Gestaltung ihres Kunsterlebnisses ein. Seiten können herausgenommen, ausgestellt, aufgehangen oder anders bearbeitet werden.
Fragen, die wir uns stellen sind: Woher kommt die Rückkehr konservativer Rollenbilder in einer Zeit, in der queer-, post- und vierte Welle-Feminismen eine breitere Öffentlichkeit erreichen und strukturelle Veränderungen bewirken? Was motiviert Menschen eine frauenfeindliche Politik zu stärken? Wie schafft man eine neue, nicht patriarchale Narration einer freieren Welt?
Wir erforschen wie das Patriarchat in Literatur, bildender Kunst und Popkultur in Form einer normierenden Bild- und Narrationsgewalt Vorstellungen des Weiblichen bestimmt. Dafür haben wir uns am europäischen kunsthistorischen Kanon abgearbeitet und dabei eine platte Einfachheit in den Darstellungen gefunden: Heilige, Hexen und Huren – Marien, Medusen und Salomeen, die scheinbar wenig Raum für Freiheit geben. Diese suchen wir, indem wir Bilder und Geschichten verschränken, perforieren und mit realen weiblichen Biografien verknüpfen, um somit das von patriarchaler Macht unsichtbar gemachte Potential für Emanzipation freizusetzen.
Theater Performance Kunst RAMPIG, gegründet 2012, ist ein freischaffendes Performancekollektiv aus Mannheim. Seit 2019 forschen wir künstlerisch zu Konzepten des Weiblichen. Wir entwickeln bespielte, ortsspezifische Rauminstallationen und Performances. Diese basieren auf einer ausgedehnten Recherchephase, die wir als kollektive künstlerische Forschung begreifen. Unsere Praxis sehen wir als Kuratieren im Spiel.
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