datenglück (Videoinstallation und Buch/PDF)
datenglück ist die zweite Abschrift der zwischen 1941 und 1945 entstandenen Briefsammlung der Familie Albert und Luise Schramm. Die erste Abschrift mittels Schreibmaschine erfolgte durch Anneliese Tilly geb. Schramm und Karl Tilly. Für die hier vorliegende Fassung wurde die erste Abschrift per Scan digitalisiert, in ein Textdokument umgewandelt, in InDesign angelegt, aus InDesign als TIF-Dateien exportiert und seitenweise in Photoshop selektiv geweißt.
Konzeptuelles/Synopse:
Eine umfangreiche Briefsammlung aus der Zeit von 1941 bis 1945 erzählt von Krieg, Schutzhaft, Überlebenskampf, Verlust. Wie ein Schatz wird die Sammlung der Familie Schramm jahrzehntelang gehegt und aufgehoben. Sie geht von einer Generation über in die nächste und verändert ihre Form, wird mehrmals abgeschrieben, durch persönliche Erinnerungen und gesammelte Dokumente ergänzt und sortiert. Ihr Inhalt ist eine Leerstelle der Essener Stadtgeschichte: Nicht viel ist übriggeblieben von den Schilderungen der damals verhafteten Essener Gewerkschaftler. Wichtiger Bestandteil der Sammlung sind Aufzeichnungen des Essener Gewerkschaftlers Albert Schramm aus der „Schutzhaft“ durch die Nationalsozialisten und zahlreiche Briefwechsel innerhalb seiner Familie. Schramm ist der Urgroßvater Christoph Collenbergs. datenglück ist eine Iteration der Überlieferung. Es erforscht transformatives Erinnern mittels Ab-, Um- und Neuschreibens und denkt Schreibpraxis als empathische Aneignung und persönliche Begegnung: Ich betrachte und lese eine Briefseite nach der nächsten wie ein Gesicht. Briefe werden konserviert, kondensiert, dekonstruiert, invertiert oder transponiert. Dabei entstehen gleichermaßen Texte wie Bilder/Figuren/Muster – oder: Skulpturen, die verschiedene Rezeptionsmodi erlauben. datenglück denkt den Erinnerungsprozess als Rekonstruktion und vollzieht den Übergang vom Erfahrungsgedächtnis ins kulturelle Gedächtnis künstlerisch nach. Im Erneut-Schreiben suche ich das Gespräch mit dem Brief und deren Verfasser*innen und werde von ihnen heimgesucht. Die Erinnerung des Briefes wird meine eigene. Genauso schreibe ich dem Brief meine eigene Erinnerung ein. datenglück ist eine rotierende Blaupause für Krieg, durch die die Perspektive einer von politischer Verfolgung bedrohten Familie ebenso hindurchscheint wie die Verstrickung in die kollektive Täterschaft, weil Erich Schramm, der Sohn Alberts und Luises, im Zuge seiner Feldpostbriefe von eigenen Kampfhandlungen als Soldat berichtet. Die Protagonist*innen in datenglück denken schreibend nach, bäumen sich gegen das Vergessen und das Vergessenwerden auf und erfahren nach und nach ihre eigene Transformation.
Mögliche Lesemodi der Videoinstallation sind unter anderem: einen Punkt fixieren; die Augen zusammenkneifen und Formen betrachten; zufällig die Slide Show anhalten und stichprobenartig lesen – von links oben nach rechts unten, kontraintuitiv über die Seite wandernd; Seite für Seite lesend vor- oder rückwärts blättern. Diese Empfehlungen gelten ebenfalls für das Lesen/Betrachten als PDF auf einem Tablet bzw. Laptop.
datenglück existiert gedruckt als Buch in Kleinstauflage (4 Stück). Im Rahmen dieser Ausschreibung möchte ich vor allem die Präsentationsform als Videoinstallation sowie als PDF (auf Tablet oder Laptop) bewerben.
datenglück ist eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit alten und gealterten Briefen, die bis zum heutigen Tag erschreckend aktuell sind. Die Arbeit ist spezifisch dokumentarisch, weil schließlich mit historisch relevanten Dokumenten umgegangen wird; zudem ist sie jedoch auch generisch und hochpolitisch und verweist über das eigene, vergangene Geschehen hinaus.