STAMMARBEITEN
Unter dem Titel STAMMARBEITEN entsteht aktuell ein Zyklus von plastischen Objekten, in denen die Verarbeitung einer Eibe als plastisches Material wie auch als materieller Träger codierter Informationen eine übergeordnete Rolle spielt. Der Eibenstamm, den ich als Material meiner künstlerischen Arbeiten verwende, stammt aus meiner unmittelbaren Nachbarschaft, dem Fangelsbach-Friedhof im Stuttgarter Süden. Ein verheerender Sturm hatte den über 130 Jahre alten Baum am 28.6.2021 „gefällt“.
CUT 28 06 2021 | N 48° 45.945660 E 9° 10.10.509840 | Sturmholz
Die immergrüne Eibe gilt als älteste Baumart Europas. Eibenholz ist hart, aber biegsam, reizvoll marmoriert. Die Eibe wurde als Nutzholz im 19. Jahrhundert von der Buche verdrängt. Das jähe Ende dieses majestätischen Baumes ist ein beispielhaftes Zeugnis der historischen Veränderungen, die wir sehr ambivalent als Zeitenwende bezeichnen, die jedoch unsere Gegenwart in nicht unerheblichem Maße tangieren und Fragen an unsere eigene menschliche Existenz und Zukunft aufwerfen.
Das Bild romantischer Wälder und unberührter Landschaften ist Sehnsuchtsort und Mythos, Identität stiftend. Dieses Bild stammt noch aus dem 19. Jahrhundert, wie diese Eibe, die sich als Sturmholz in Artefakte verwandelt. Als Botschafter und Stellvertreter einer schützenswerten Natur und Umwelt ist sie ebenso Zeuge der Umwälzungen, denen wir uns fahrlässig aussetzen. Wir wissen heute, dass Bäume komplexe sensible Organismen sind, die über rhizomartige Wurzelwerke, Pilze und Duftstoffe miteinander kommunizieren und füreinander soziale Verantwortung übernehmen.
Wenn wir uns verorten ist Heimat ein Begriff der Nähe in einer globalen oder globalisierten Welt. Heimat ist Standort und Standpunkt. Heimat ist die Luft, die wir atmen, der Körper, in dem wir stecken, der Austausch mit anderen, ein soziales Wurzelwerk, wie das der Bäume und Wälder. Der Standpunkt, von dem aus wir die Welt betrachten, definiert darüber hinaus einen "Horizont" als gedachte Linie oder in Form linearer Ereignisse einer biografischen Entwicklung, die sich weitet und zunehmend näher rückt. Heimat kann sich demnach, weil der Begriff dehnbar und dabei oft kaum zu fassen ist, in realen Welten und in virtuellen Räumen verdichten, kann gleichbedeutend Orte und Identität erzeugen, Herkunft, also Wurzeln markieren und Lebensläufe begründen, die sich auch an kreativen Prozessen in Zeit und Raum messen lassen. Heimat als Begriff und Fakt kann kulturell sinnstiftend Entwicklungen und Veränderungen aufgreifen und diese in einen Kosmos von Weltbildern implementieren. Sie kann Inneres wie Äußeres abbilden. Der Begriff Heimat verhält sich auffällig ambivalent. Als wandelbare Projektion umfasst Heimat Zeitgeist und historische Gegenwart einer Gesellschaft ebenso wie das Momentum der individuellen Wahrnehmung des Einzelnen und formuliert Bezüge, die auf eigene Fragen der Existenz und Sozialisation und Fragen einer Gesamtheit vieler Individuen verweisen können.
Im Kontext aus Nähe, gesellschaftlicher Relevanz und kultureller, zivilisatorischer Aneignung „siedeln“ die Objekte der Stammarbeiten. Handwerklich präzise gefertigt zitieren sie industrielle, mehr oder weniger „hilfreiche“ Objekte unseres Alltags, deren Funktion und Sinnhaftigkeit in Frage gestellt ist. Der disparate Materialmix in Kombination mit dem natürlichem Rohstoff Holz irritiert. Präsenz und Abwesenheit des Menschen rücken in unmittelbare Nähe der uns scheinbar vertrauten Objekte.
Die Objekte führen ein Eigenleben. Sie lassen sich installativ in bestehende Ausstellungen integrieren. Sie agieren, interagieren und reagieren auch auf Vorhandenes. Die Objekte verdichten sich in Summe. Sie verführen, wirken sinnlich, spiegeln kritisch Alltag und Gegenwart und verweisen über die spezifische Historie des Baumes auf die Bedingtheit und Zerbrechlichkeit unserer Umwelt und mit ihr von menschlicher Existenz.
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