Der Bill-Hocker begleitet mich nun schon seit 60 Jahren und ist aus meinem Leben nicht mehr weg zu denken. Wir saßen als Studenten der hfg in der Mensa auf ihm, wir saßen auf der Terrasse auf ihm, wir saßen in den Zimmern und Ateliers auf ihm, aber immer war es der Bill-Hocker, niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn „Ulmer Hocker“ zu nennen. Wer diesen Begriff heute verwendet, bezeugt damit kein „echter Ulmer“ zu sein. Ulmer sagen ja auch nicht „Ich geh ins Ulmer Münster“, sondern „Ich geh ins Münster.“
In allen Wohnungen, die ich im Laufe meines späteren Lebens wohnte, waren Bill-Hocker, und es wurden immer mehr. wesentliche Bestandteile der Möblierung und der vielfachen Nutzung, als Sitzmöbel, als Spielzeug, als sichere Unterlage bei Bastelarbeiten, als Leitern, als zeitweiliger Regalersatz, und so weiter. Einmal überreichten wir, d.h. der Vorstand des clubs off ulm, Edgar Reitz einen Bill-Hocker als Honorar für einen Vortrag, den er anlässlich einer Mitgliederversammlung des cou gehalten hatte; auch mir selbst überreichten die cou-Mitglieder einen Bill-Hocker als Abschiedsgeschenk am Ende meiner ersten Amtsperiode als Vorstandsvorsitzender des cou, mit den Autogrammen aller Anwesenden.
Den Bill-Hocker gibt es als Original, angefertigt in Meister Hildingers Holzwerkstatt in der hfg, zu erkennen an den rechtwinkligen Zargen, die die drei Bretter, zusätzlich verbunden durch den abgesägten Besenstiel, wegen der Stabilität, zusammenhalten.
Ein nicht näher genannter älterer Ulmer Hobbyschreiner, hat dann später, ohne sich um das Autorenrecht zu bemühen, in seiner Werkstatt im Keller, eine große Anzahl an perfekten Kopien hergestellt. Man erkennt diese meisterlich gefertigten Kopien an den abgeschrägten Zargen, die wesentlich zur größeren Stabilität der Hocker beitragen. Da die abgeschrägten Zargen, aber dem in der hfg angestrebten, “rechten Winkel“ widersprachen, hätte man sie so, in der hfg-Holzwerksatt, obwohl in der abgeschrägten Form wesentlich funktionaler, nie produziert.
Zu finden sind diese stabileren Kopien sogar in öffentlichen Einrichtungen, wie
z.B. im NS-Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, oder im Meditationsraum des Klosters Blaubeuren; aber immer wieder für mich zur freudigen Überraschung, auch in den Wohnungen von Menschen, die irgendeinen Bezug zu Ulm, oder zur hfg haben.
Vor einiger Zeit bat mich die Firma FSB, das ist der Türklinkenhersteller Franz Schneider Brakel, der sein Erscheinungsbild ganz wesentlich Otl Aicher zu verdanken hat, mit meinen Filmen zur Gründungs- und Wirkungsgeschichte der hfg, mit auf eine PR-Tour durch die Kulturtempel der Republik, und auch der Schweiz und Österreichs, mitzugehen. Es machte mir unglaublich viel Spaß, mit meinen Filmen Otl Aichers Gestaltungswillen und -wirken auf
dieser Tour anschaulich präsentieren zu können. Zur Vorbereitung dieser Tour interviewte mich im Auftrag von FSB eine Journalistin und eine Fotografin machte dazu die Bilder in meiner Wohnung. Die Fotografin bat mich, einen hfg-typischen Gegenstand in die Hand zu nehmen. Was wäre zu diesem Zweck besser geeignet gewesen, als mich auf einen Bill-Hocker zu lümmeln?
Um’s mit Loriot zu sagen: Ein Leben ohne Bill-Hocker ist denkbar, aber sinnlos.