Es war in den frühen Nuller-Jahren, als mir werbetextend an meinem Mac sitzend mit einem Mal klar wurde, wie grundstürzend die Veränderungen bereits waren und noch werden würden, die wir gerade durchliefen. Auslöser meiner Gedanken waren das Internet und seine wie ein Pilzmyzel alles durchdringende Kraft.
Als Tochter eines EDV-Pioniers hatte ich keine Berührungsängste mit der neuen Technik. Und doch: Hier tat sich etwas für uns alle völlig Neues auf. Die Welt begann, sich in einem schnelleren Tempo zu drehen. Und mit der allgemeinen Beschleunigung rückte die Vergangenheit, und ganz besonders auch das persönliche Herkommen in fast unwirkliche Entfernung.
Konnte es wirklich wahr sein, dass mein Opa als Dorfmetzger morgens Schussapparat und Messer in seinen Rucksack steckte und zum Hausmetzgen ging? Dass wir als Kinder im Mai auf unseren Nachttischchen einen Maialtar aufbauten? Dass nach dem väterlichen Machtwort eine Tracht Prügel folgte?
Im Nachdenken darüber kristallisierten sich Wörter heraus, die mit meinem Aufwachsen in einer oberschwäbischen Dorfmetzgerei in den 60er-Jahren aufs engste verknüpft waren. Wörter, die ich heute als Keywords meines Lebens bezeichnen würde und die ich auf einer Liste festhielt. Metzgerblut. Maialtar. Machtwort. Mägdle. Nichtschwimmer. Hennafidla. Und einige andere mehr.
Was würde aus diesen Wörtern werden? Ein Buch? Ein Film? Eine olfaktorische Umsetzung? Ich wusste es nicht. Spürte nur den Druck des Festhaltens, Aufschreibens. Als ich einige Jahre später das Textilgarn entdeckte, wusste ich von einer Sekunde auf die andere: Ich häkle meine Wörter!
Und so ist nach und nach meine „Betzenweiler Reihe” entstanden. Eine Serie von ca. 1 x 1 m großen, gehäkelten Wortbildern, die für meine Kindheit in Oberschwaben, für meine Wurzeln und damit für den Bezug zu meiner Heimat stehen.
Liest man meinen Text bis zu dieser Stelle, könnte man denken, dass es mir mit meinen Wort-Verdichtungen darum geht, etwas Vergangenes, Vorgestriges, vielleicht Aussterbendes festzuhalten. Doch das Konservierende, Zurückschauende ist meine Sache nicht. Was mich treibt, ist ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie groß die Schritte sind, die wir als Menschengemeinschaft gerade tun. Mehr noch: Der Blick zurück ist für mich eine Art der Selbstvergewisserung, aus der heraus die Kraft wächst, einen – hoffentlich – relevanten Kommentar zur Gegenwart beizusteuern. Exemplarisch dafür steht die Arbeit ‚ich du er sie es wir ihr sie‘, die die Bezogenheit von uns Menschen zu anderen Menschen, aber auch zur belebten und unbelebten Natur thematisiert. Genährt durch den Humus der ‚Betzenweiler Reihe‘ wollen die Arbeiten dieser Werkgruppe mitschreiben am neuen Narrativ. Einen Beitrag leisten zum Weltganzen. Meiner gefühlten Verantwortung als Künstlerin Ausdruck verleihen. Wenn mein METZGERBLUT, das MACHTWORT und das MAMAKENDLE eine Ahnung davon geben, war das Häkeln nicht umsonst.
Und warum ausgerechnet häkeln? Weil für mich der Akt des Wörterhäkelns den Schnittpunkt von Text und Textilie definiert. Und genau an diesem Schnittpunkt befindet sich die Quelle meiner künstlerischen Inspiration. Dominiert im Text die Ratio, der Verstand, so steht die Textilie, der Stoff für das Ur-Material von uns Menschen. Ein Material, das uns wärmt, schützt, ziert. Mehr noch: Ein Material, das uns von der ersten Stunde auf dieser Welt bis zum sprichwörtlichen ‚letzten Hemd‘ jede Minute berührt. Diese ihm eingeschriebene Sinnlichkeit ist es, die meine Wortbilder auflädt, mit Gefühlen anreichert, im besten Sinne des Wortes ‚umgarnt‘.
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