Stelle dir vor: Dein Tisch ist schief, das Regalbrett nicht am richtigen Platz. Deine Garderobe braucht Gegengewicht, eine brennende Kerze kippt um. Du trägst eine Kette zum Teilen. Das macht keinen Sinn. Aber was, wenn doch? Wir leben in einer Welt, die uns tagtäglich mit Informationen und konstruierten Vorstellungen überflutet. Wir verlernen dadurch, auf unsere eigene Intuition zu vertrauen und verharren im starren Komfort.
Um diesem Verhalten entgegenzuwirken, habe ich für meine Masterarbeit im Oktober 2020 an der Hochschule Düsseldorf Produkte kreiert, die zu einer echten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand anregen und zur Reflexion einladen. Mein Name ist Anna van Eck, ich bin gelernte Goldschmiedin und Produktdesignerin. Seit 2017 arbeite ich als Freelancerin in meinem eigenen Studio mit Werkstatt in Köln.
Ich destabilisiere Alltagsgegenstände, damit jene in der Interaktion eine neue Art der Stabilität finden können. Die fehlende Funktion irritiert und wirft Fragen auf. Das Erarbeiten möglicher Antworten ist Teil des Dialogs, in den Betrachter/in und Nutzer/in treten. Das Angebot zum Dialog richtet sich an die Wohlstandsgesellschaft (in Deutschland). Ziel ist es, ihre bereits festgelegten Denkweisen und Verhaltensmuster aufzuweichen und sie zum Umdenken anzuregen. Das Erlebnis in der Interaktion erweitert nicht nur den eigenen Horizont, es verändert die Sichtweise und regt zum Umdenken an.
Fünf Hybride, eine Kreuzung aus Produkt und Skulptur, verkörpern destabilisierte Alltagsgegenstände, welche durch Entfremdung zur Metapher transformieren. Sie zeigen auf, dass Stabilität eine konstruierte Illusion von Selbstverständlichkeiten und Gewohnheiten innerhalb einer Gesellschaft ist. Das Erlebnis zeigt, ein Ungleichgewicht oder eine verloren gegangene Funktion kann durch aktive Handlungen jedes Einzelnen wiederhergestellt werden. Es bedarf der Besinnung auf die eigene Intuition, den Mut, Veränderungen anzunehmen und Probleme aktiv anzugehen. Die Formgebung ist ausschlaggebend dafür, dass die Betrachter/innen den Bezug zum Ausgangsmöbelstück herstellen können, somit ist der eine Teil des Hybrides, das Produkt, vertraut. Das gewählte Material spiegelt ebenfalls ein vertrautes Bild wider. Der zweite Teil des Hybriden, der das Produkt zur Skulptur werden lässt, lädt zur Reflexion und zum Umdenken ein. Hier wird das gewohnte Bild oder auch die "Norm" gebrochen. Dadurch entsteht ein Reiz, die Alltagsgegenstände neu zu entdecken. Der in Schieflage geratene Esstisch, das zusammengebrochene Regal, die unausgeglichene Garderobe, die Halt suchende Kerze und – als Schmuckstück – die teilbare Kette warten, bildlich gesprochen, darauf, mit ihre Benutzer/innen aus ihrer individuellen Komfortzone zu locken.
Die Erweiterung des Verständnisses von Design spiegelt mein Konzept wider, da der Mensch und nicht das Produkt als Schlüsselfunktion zur Stabilisierung der Produkte eingesetzt wird. Mögliche Schlüsselfunktionen sind: (1) aktives Mitwirken, (2) die Suche nach neuen Handlungsmöglichkeiten, (3) Wahrnehmung der Auswirkungen eigener Handlungen auf andere, (4) inneres Gleichgewicht, (5) einander helfen und für einander einstehen. Es wird ein Spannungsfeld zwischen Bekanntem und Unbekanntem, Funktion und Dysfunktion, Stabilität und Instabilität aufgebaut. Die Gestaltung ist als Leitfaden zu verstehen, der den Zugang zum Produkt erleichtert und zur Orientierung während der Interaktion beiträgt. Sich Besinnen meint nachzudenken, um die Fähigkeit eines stärkeren Bewusstseins zu entwickeln. Die Wahrnehmung und sinnliche Erfahrung hilft, den geistigen Prozess in Gang zu setzen.
Weblinks
Ich bin begeistert von Anna van Ecks Kreativität und würde gerne mehr mehr von ihr sehen.
Ich glaube in der aktuellen Situation kann sich jeder mit dem Thema Fehlen von Stabilität stark identifizieren.
Dieses Gefühl greifbar zu machen gelingt in Anna van Ecks Arbeit und macht neugierig darauf es persönlich zu erfahren um es einordnen zu können.
Sehr spannend! Dieser Ansatz Objekte zu sehen und zu gestalten passt genau in die heutige Zeit. Die Ausstellung würde ich sehr gerne besuchen.